Wortgetreu

Vokalakrobaten aufgepasst

Wie doch die Zeit vergeht: Als der chinesische Musiker Siwei Zou just zum Start des neuen Millenniums im Jahr 2000 sE Electronics gründete, um mit eigenen Mikrofonen und Mikrofonierungslösungen eine Alternative zu den Spitzen-Mikrofonen der Welt anzubieten, hätte wohl niemand diese Entwicklung erahnt. Anfangs noch als „Möchtegern-Neumännlein aus China“ verächtlich gemacht, zeigte sich schon bald, dass der klassisch ausgebildete Fagottist und Dirigent Siwei Zou keine halben Sachen macht – weder musikalisch noch geschäftlich. Die in eigener Fabrik in Shanghai von Hand gefertigten Mikrofone boten nämlich professionelle Qualität, die auch hierzulande – immerhin das Mikrofonparadies schlechthin – offenohrige Tonschaffende zu schätzen lernten. Den endgültigen Ritterschlag bekamen sE Electronics als der große Rupert Neve mit den Chinesen eine fruchtbare Kooperation einging – der Rest ist andauernde Erfolgsgeschichte.

Das Produkt-Portfolio von sE Electronics ist umfangreich. Es umfasst diverse dynamische Mikrofone, Schallwandler in Röhrentechnik, aktive und passive Bändchenmikrofone – darunter auch die hochgelobten Rupert Neve Design Aktiv-Bändchen – sowie Klein- und Großmembran-Kondensatormikrofone. Hinzu kommen die ebenfalls beliebten Reflexion-Filter und weiteres Zubehör, das den Aufnahmealltag erleichtert und bereichert.

Aktueller Neuzugang im Programm und unser heutiger Testkandidat ist das DynaCaster, welches für 280 Euro im Angebot ist. Sein Name weist schon auf Typ und die herstellerseits vorgesehene Anwendungsdomäne hin. Wir haben es mit einem dynamischen Mikrofon zu tun, welches sich insbesondere für Sprachaufnahmen eignen soll, um beispielsweise Podcasts mit stimmlichem Wohlklang zu veredeln. Ansonsten haben es seine Entwickler mit einer Ausstattung versehen, die ihresgleichen ein längeres Weilchen suchen muss. Neugierig? Zurecht!



Neu entwickelte Spezialkapsel


Wir haben es beim DynaCaster mit einem dynamischen Mikrofon zu tun. Als Tauchspulenmikrofon – so die technisch korrekte Bezeichnung – arbeitet es nach dem Induktionsprinzip, wobei die Bewegung einer Spule im Magnetfeld in elektrische Spannung umgesetzt wird. Wird die Mikrofon-Membran vom Schallwechseldruck in Schwingungen versetzt, dieselben Bewegungen aus wie die Membran. Dabei taucht sie in das Magnetfeld eines Permanentmagneten ein, der mit dem Kapselgehäuse verbunden ist. Wird die Schwingspule hin- und herbewegt, schneidet sie die magnetischen Feldlinien des Magneten. Am Ausgang der Spule wird so eine Wechselspannung erzeugt, die zur Spulenbewegung und damit zum Schallwechseldruck ungefähr proportional ist. Diese Erläuterung brauchen wir, um ermessen zu können, welchen Aufwand die Entwickler des DynaCaster betrieben haben, um das Impulsverhalten der speziell für dieses Mikrofon neu entwickelten DMC8-Kapsel zu optimieren. So besteht die Schwingspule nicht wie üblich aus Kupfer, sondern aus Aluminum. Der Permanentmagnet ist ein besonders kräftiger Neodymium-Magnet, wie er auch bei hochwertigen Lautsprechern – Tauchspulenmikrofone und Lautsprecher sind sehr nahe Verwandte – zum Einsatz kommt. Der Hersteller hat diese Bauweise mit seiner für die Bühne entwickelte V-Serie etabliert, speziell das Gesangsmikrofon V7 hat sich mit seinem klaren Klang einen sehr guten Namen gemacht. Die DMC8-Kapsel stellt allerdings nicht einfach eine Modifikation des DMCKapseldesigns, sondern eine Neuentwicklung, abgestimmt auf das Haupt-Einsatzgebiet des DynaCaster, dar. So wurde die Richtwirkung ganz bewusst breiter gestaltet, sodass wir es mit einer Niere zu tun haben. Die Kapsel selbst ist im Innern elastisch gelagert. Es bedarf also keiner Mikrofon-Spinne, um Erschütterungen abzufedern. Weiter macht das Gesamtdesign des Mikrofons für jeden offenkundig, dass es frontal zu besprechen ist. Zusammen mit der Richtwirkung ist es so leichterdings möglich, Umgebungsgeräusche effektiv zu unterdrücken und das Ohrenmerk auf die Stimme des Sprechers zu lenken – die besonders naturnah abgebildet werde.

Dabei darf die sprechende Person dem Einsprechkorb des Mikrofons sehr nahe kommen, ohne dass es eines zusätzlichen, klobigen Pop-Filters bedürfte. Den hat sE Electronics nämlich gleich eingebaut. Seine Konstruktion ist dreistufig ausgelegt und für alle teilweise ersichtlich, sobald das frontale Schutzgitter abgeschraubt ist. Jedenfalls macht diese durchaus aufwändige Konstruktion einen durchdachten Eindruck und ist offenbar gut umgesetzt. Da das Pop-Filter einfach entnehmbar ist, lässt es sich auch mühelos bei Bedarf mit Wasser und einem Mikrofasertuch reinigen – prima praxisgerecht. Auch die Kapsel versteckt sich nicht, denn das untere Mikrofon-Gehäuse ist ebenfalls aufschraubbar. Es ist ersichtlich, dass der Hersteller keine Sprüche klopft. Die DMC8-Kapsel ist wohl behütet und eben elastisch gelagert.


Mehr Power


Schrauben wir das Mikrofon aber wieder zusammen und widmen uns seinen übrigen Ausstattungsleckereien. Dynamische Mikrofone sind im Vergleich zu Kondensatormikrofonen grundsätzlich geringempfindlich. Was bei lauten Schallquellen von Vorteil ist, wird bei leisen Signalen zum Nachteil. Vor allem, wenn die Preamps des Audio-Interfaces zu wenig Verstärkungspower haben, um einen einigermaßen brauchbaren, heißt rauschfreien Arbeitspegel zu erhalten. Die pfiffigen Erfinder gedachte der Podcaster und YouTuber, die eher wenig in ihr Audio-Interface und stattdessen mehr in ihre lichtvollen Texte oder blendende Erscheinung investieren und bauten in das DynaCaster einen Vorverstärker ein. Der basiert auf dem eigenen aktiven Inline- Vorverstärker DM1 Dynamite, der schon bei einigen passiven Mikrofonen für eine kräftige Pegelanhebung gesorgt hat. Wichtig: Der DM1 ist nicht nur ein Vorverstärker, sondern auch ein Impedanzwandler. Es ist kein Problem, lange Kabelstrecken zu fahren, denn die Anfälligkeit für Hochfrequenz-Störungen, Brummen oder Rauschen ist sehr effektiv reduziert. Im Falle des DynaCaster-Preamps verbessert dieser aufgrund seiner Machart Höhen- und Tiefenwiedergabe: Der Hochtonbereich klänge eine Spur offener, der Bassbereich satter und präziser, wie Produktspezialist Thomas Stupics auf Nachfrage erläutert. Wie der DM1 ist auch der integrierte DynaCaster-Vorverstärker aus hochwertigen Komponenten und Feldeffekttransistoren der Sonderklasse im übertragerlosen Class A-Design konstruiert. Den Pegel hebt er auf Benutzerwunsch um satte 30 Dezibel an, was ein mit beeindruckenden 60 mv/Pa richtig lautes Mikrofon ergibt. Zur Aktivierung bedarf es lediglich eines gepflegten Fingernagels oder eines sonstigen Werkzeugs, um das Schalterchen in die „I“-Postion zu bringen. Zusätzlich ist am Mikrofonvorverstärker, dem Mischpult oder dem Audio-Interface die 48 Volt Phantomspannung zu aktivieren. Wer nunmehr ein leises Wort ins Mikrofon spricht und sämtliche Pegelanzeigen kräftig ausschlagen sieht, kann sich ganz entspannt seinem Text widmen. Soll das DynaCaster dagegen laute Signale verarbeiten – beispielsweise von einer Trompete oder einem Gitarrenverstärker – ist der Preamp einfach abzuschalten und das Mikrofon arbeitet wieder als passives Tauchspulenmikrofon.

Links und rechts neben dem Ein-/Ausschalter des Vorverstärkers finden sich noch jeweils dreistufige Schalter für ein Tiefen- und ein Höhenfilter. Damit lassen sich der Bass- beziehungsweise Höhenbereich beeinflussen. Das Bass-Filter setzt bei knapp unterhalb 100 Hertz ein und sorgt in der unteren Schalterstellung für eine Abschwächung der Frequenzanteile unterhalb der Einsatzfrequenz – ideal also zur Reduzierung des Nahheitseffekts oder zur Abschwächung tiefer Stimmen. In der Mittelstellung ist der Bassbereich ausbalanciert, was übrigens nicht bedeutet, dass das Mikrofon die Bässe ungefiltert passieren ließe. Tatsächlich erfolgt auch ohne Filterung eine – allerdings dezentere – Bassabschwächung. Der Grund dafür liegt auf der Zunge: Der Nahbesprechungseffekt soll sich generell nicht negativ bemerkbar machen.

Das Höhenfilter wiederum dient der Anhebung der Frequenzen ab fünf Kilohertz. Diesmal ist das Filter in der unteren Position deaktiviert, in der mittleren erfolgt eine Dezente Anhebung mit Pegelspitze bei etwa zehn Kilohertz, in der oberen Stellung ist der Höhenbereich deutlich betont. Diese Einstellung empfiehlt sich unter anderem bei Aufnahmen in stark bedämpften Räumen, während die dezentere Mittelstellung die Sprachverständlichkeit in belebter, sprich lauterer Umgebung verbessern soll. Klingt wohl durchdacht. Wir werden im Rahmen des Praxistests hören, was die Filter so leisten. Die Verarbeitung des DynaCaster ist sehr gut. Dieses Mikrofon ist wirklich wie der redensartliche Panzer gebaut. Mit einem Lebendgewicht von über 700 Gramm zerrt es schon am Stativ, aber die Montageeinheit mit seinem flexiblen Gelenk am ultrarobusten Gehäuse erleichtert das Befestigen und Ausrichten des Schallwandlers spürbar. Die XLR-Buchse ist direkt neben dem Stativanschlussgewinde angebracht, was kein Zufall ist. So soll das Mikrofonkabel bei einer Videoproduktion leichter zu verbergen sein, auf dass nur Mensch und Schallwandler in trauter Einigkeit zu erkennen sind.


Wahrer Stimmprofi


Kommen wir zur Praxis und beginnen mit einem aufrichtigen Bekenntnis: Die Arbeit mit dem DynaCaster ist das reine Vergnügen. Denn dieses Mikrofon erfüllt alle vom Hersteller geweckten Erwartungen. Obwohl ich kein Sprecher bin, wagte ich es, einen längeren Text mit dem chinesischen Sprach-Schallwandler einzusprechen. Das Aufnahme-Setup war bewusst kleinteilig gewählt: Als Rechner kam ein aktuelles MacBook Pro 13-Zoll mit einem SSL 2+ Audio-Interface zum Einsatz, die Aufnahme erfolgte mit Logic Pro. Schon beim Soundcheck habe ich den Preamp des DynaCaster lieben gelernt, denn damit war die Einpegelei so dermaßen schnell erledigt, dass nur noch die Filter gesetzt werden mussten. Da ich einen Bassbariton habe, setzte ich das Tiefenfilter auf die untere Schalterstellung. Das Höhenfilter habe ich, da ich außerhalb meiner Studioumgebung in einem lebendigen, größeren Raum aufnahm, leicht angehoben. Schon über Kopfhörer klingt es gut. Richtig gut. Mit diesem Klang macht das Einsprechen Spaß. Man sollte bedenken, dass ein Nichtsprecher keineswegs vertraut mit dem Klang seiner Stimme ist und deswegen schlimmstenfalls gar kein Vergnügen am Aufnehmen haben kann. Anders mit dem DynaCaster, das einen angenehm vollmundigen, warmen, gleichzeitig klaren Klang liefert. Für ein Tauchspulenmikrofon ist es außerdem vergleichsweise schnell, hat also ein für diesen Typ überdurchschnittliches Impulsverhalten. Der integrierte Pop-Filter tut, was er soll und verhindert Verzerrungen durch Explosivlaute wunschgemäß effektiv. Am Ende steht eine wirklich überzeugende Aufnahme, die gerade wegen der Klasse des Mikrofons in nur vier Takes im Kasten war.

Angesichts der hohen Sprachtreue des DynaCaster darf es versuchsweise auch mal als Instrumentenmikrofon ran und den Klang einer 12-saitigen Gitarre sowie einer Tenor-Ukulele einfangen. Höre da: Auch in dieser Disziplin kann das Mikrofon gefallen. Gerade die mächtige 12-String tönt nicht schlecht. Auch wegen des vergleichsweise gering ausgeprägten Nahbesprechungseffekts. Gleichwohl bleibt selbstverständlich ein gutes Kondensatormikrofon-Pärchen für die Studioaufnahme von Instrumenten erste Wahl. Aber für Stimmen ist das DynaCaster einfach klasse.

Fazit

Mit dem DynaCaster hat sE Electronics ein erstklassiges dynamisches Studiomikrofon geschaffen, das vor allem als Sprechermikrofon keine Wünsche offen lässt. Äußerst robust gebaut und hervorragend ausgestattet überzeugt es bei bester Handhabung vor allem mit vollmundigem Klang bei gutem Impulsverhalten.


Redaktion und Fotos: Harald Wittig, Professional Audio März 2022


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