Kompression mit Charakter

Rupert Neve Designs 5254

Rupert Neve – wohl kaum ein Name in der Audiowelt hat einen vergleichbar exzellenten Klang wie der des gebürtigen Engländers, der seit 2002 auch Staatsbürger der USA war. Das nimmt nicht wunder, ist der Einfluss, den seine Entwicklungen hatten und haben doch nicht von der Hand zu weisen. Einen Klassiker zu kreieren wäre schon eine ehrenwerte Leistung, Rupert Neve zeichnet gleich für mehrere verantwortlich. Preamp- und EQ-Designs wie das des 1073 Channelstrip sind dem Pionier der Transistortechnik zu verdanken, ebenso legendäre Mischpulte wie das 8028, welches heute im Besitz von Foo-Fighters-Chef Dave Grohl ist und eine prominente Rolle in dessen Dokumentation „Sound City“ von 2013 über das gleichnamige Studio einnimmt.

Auf dem Lorbeer für die frühen Glanztaten ruhte sich Neve nie aus. Durch die Jahrzehnte gründete er mehrere Unternehmen und entwickelte neue Schaltungskonzepte. Selbst das fortgeschrittene Alter von 79 Jahren hielt ihn 2005 nicht davon ab, mit seiner Ehefrau Evelyn und Joshua Thomas, den er in den 1990er Jahren während seiner Zeit bei der britischen Company Amek kennengelernt hatte, abermals ein Unternehmen zu gründen – Rupert Neve Designs (RND). „Ich war Zeit meines Lebens Entwickler und hatte immer noch jede Menge Ideen, die ich umsetzen wollte“, so Neve 2015 zum 10. Jubiläum von RND.

Die Ideen setzte er in die Tat um, weitere Klassiker wie das Mischpult 5088 (von dem es sogar einen putzigen, mittlerweile ausverkauften Lego-Bausatz gibt), die Portico- und Shelford-Serie entstanden.

Mit der HiFi-Marke "fidelice" (by Rupert Neve Desings) stellte er wieder Bezug zu seinen Anfängen her. Bereits in den 1950er Jahren hatte er mit seiner ersten eigenen Firma CQ Audio Lautsprecher, Verstärker und Tonbandgeräte gefertigt, von fidelice sind ein Phono-Vorverstärker, ein Kopfhörerverstärker und ein D/A-Wandler erhältlich. Bis zu seinem Lebensende hat er noch mehrere Tage pro Woche in der Firma gearbeitet, war in die Entwicklungsarbeit eingebunden und gab seinen Erfahrungs- und Wissensschatz aus über sechs Jahrzehnten an die Belegschaft weiter. Am 12.02.2021 verstarb Rupert Neve in seiner Wahlheimat Wimberley, Texas. Sein Leben und Schaffen würdigte professional audio mit einem lesenswerten Porträt in Ausgabe 4/21.

Ausstattung & Bedienelemente

Meine Vorfreude war groß, als der deutsche RND-Vertrieb Mega Audio den 5254 zum Test anbot, weshalb ich die Lieferung des Kompressors gespannt erwartete, um nicht zu sagen herbeisehnte. Wenige Tage später händigt mir der Bote ein überraschend schweres Paket aus. Bei Rupert Neve Desings fließt offenbar alle Arbeit in die Entwicklung der Geräte, nicht ins Verpackungsdesign, denn in der gelieferten Versandbox befindet sich ein weiter Karton, der sich eher schlicht gestaltet präsentiert. Das ist nicht abfällig gemeint. Ich finde es durchaus sympathisch, dass man sich aufs Wesentliche konzentriert.

Im zweiten Karton befindet sich an den Seiten von Schaumstoffhalterungen fixiert der Diodenbrücken-Kompressor, ein 19-Zoll-Gerät, welches eine Höheneinheit einnimmt und circa vier Kilogramm auf die Waage bringt. Zum Lieferumfang gehören weiterhin ein Netzkabel und eine ausgedruckte Bedienungsanleitung in englischer Sprache.


Es gibt verschiedene Kompressor-Typen, deren Bezeichnung davon abhängt, wie der Regelverstärker, der das automatische Rauf- und Runterregeln des Signals übernimmt, aufgebaut ist. VCA-Kompressoren funktionieren über gleichgerichtete Steuerspannung und arbeiten eher neutral. OPTO-Kompressoren nutzen lichtempfindliche Widerstände und reagieren recht träge, FETs steuern über Transistoren, sprechen schnell an und wirken färbender. Diodenbrücken-Kompressoren sind weniger verbreitet, wohl auch, weil das Signal mit sehr geringem Pegel der Diodenbrücke zugeführt und am Ausgang wieder verstärkt werden muss, was bei den klassischen Geräten erhebliches Rauschen zur Folge haben konnte. Der moderne 5254 soll signifikant weniger rauschen und durch die übrigen Anpassungen wie Blend-Regler und HPF größere Flexibilität in der Nutzung bieten.

Der 5254 hat zwei Kanäle und kann im Dual-Mono- wie auch im Stereo-Betrieb genutzt werden. Daher befinden sich auf der Rückseite für den linken und rechten Kanal jeweils ein In- und Output von Neutrik, wobei die Inputs als Combobuchsen verbaut wurden, die Outputs als reine XLR-Anschlüsse. Zusätzlich verfügt der 5254 über einen Insert-Weg, um zum Beispiel mittels Einschleifens eines EQs den Kompressor frequenzabhängig arbeiten zu lassen. Dessen Send- und Return-Anschlüsse sind 6,3 mm Klinkenbuchsen, ebenfalls von Neutrik. Ein- und Ausgänge sind jeweils mit Custom-Übertragern und Class-A-Verstärkern bestückt. Auf der Rückseite befinden sich außerdem ein Ground-Lift-Schalter, der Anschluss für den Netz- stecker und der Ein-/Ausschalter. Frontseitig verbaute Powerschalter erscheinen mir stets praktischer. Das eingebaute Netzteil kommt weltweit mit 90 bis 240 Volt Wechselstrom zurecht.

Die graue Frontpartie des 5254 mit den verschiedenfarbigen Potis und teils leuchtenden Druckknöpfen sieht klasse aus. In der Mitte sind die beiden beleuchteten VU-Meter platziert, die jeweils von der Signatur Rupert Neves geschmückt werden. Diese findet sich ebenfalls am rechten Rand der Frontplatte. Zwischen den VU-Metern befinden sich die Taster "COMP IN", welcher bei Aktivität grün leuchtet, und "Link" zum Einschalten des Stereo-Modus. Darunter pro VU-Meter je ein Taster, um wahlweise die Gain Reduction oder den Ausgabepegel anzeigen zu lassen. Unter den VU-Metern sind mittig Schrauben zum Nachjustieren der Meter-Nadel angebracht, am jeweils rechten Rand finden sich die Meter Peak-Anzeigen, die rot aufblinken, wenn die Clip-Grenze erreicht zu werden droht.

Pro Kanal werden die Parameter HPF, TRESHOLD, GAIN und BLEND mit in 31 Schritten gerasteten Potis eingestellt. Die Ratio bietet sechs Kompressionsverhältnisse zwischen 1,5:1 und 8:1. TIMING offeriert ebenfalls sechs mögliche Einstellungen. Beide Drehregler sind schwergängiger als die anderen und erzeugen beim Verstellen ein deutliches Klack-Geräusch – das gefällt mir sehr. Komplettiert werden die Bedienungssektionen beidseitig von drei weiteren Tastern: "S/C HPF" schaltet das Hochpassfilter in den Regelweg, "S/C INSERT" aktiviert die Insert-Buchsen für diesen und "FAST" reduziert die Attack-Release-Zeiten um 70 Prozent der voreingestellten Werte und verdoppelt so die Regelzeit-Optionen. Die Attack-Zeiten bewegen sich zwischen 250 Mikro- und 80 Millisekunden, die Release-Zeiten zwischen 100 Millisekunden und zwei Sekunden.

Der 5254 im Einsatz

Anfang der 1980er geboren, bin ich noch mit analogen Medien aufgewachsen. Auch die ersten eigenen Aufnahmen selbst geschriebener Songs erfolgten Ende der 90er noch analog mit einem Fostex X-28. Als mein Interesse für Musikproduktion Anfang bis Mitte 20 deutlich zunahm, war die "digitale Revolution" schon so weit vorangeschritten, dass ich mir 2006 erstmals ein MacBook und Logic leisten konnte und fortan fast ausschließlich digital arbeitete. Digital und Analog sind zwei eigene Welten, deren Kombination tolle Möglichkeiten offeriert. Was ich bei der Arbeit mit analogen Geräten mag: Man ist gezwungen mit den Ohren zu arbeiten und schließlich Entscheidungen zu treffen. Das Digitale verleitet mich oft dazu, immer wieder die Augen hinzuzuziehen, auf den Analyzer oder die Peak-Anzeige zu achten. Warum nicht mal die VU-Meter am analogen Kompressor abdecken, um Vertrauen ins Gehör zu schulen?

Den Test habe ich hauptsächlich mit meinem Kollegen Jordi Büchel in dessen "JB Tonstudio" in Königswinter durchgeführt, wegen der optimierten Raumakustik und der vorhandenen Geräte, die man zum Vergleich heranziehen kann, zum Beispiel den Neve Portico II und auch den MC77 von Purple Audio.

Auf Faustregeln oder Richtwerte für dieses oder jenes Instrument sollte man getrost verzichten. Man muss das Verhalten des 5254 regelrecht erforschen, da die Timing-Einstellungen in Abhängigkeit von Ratio und Treshold variieren. Letztlich weiß man bezogen auf die Zeiten nie genau, was los ist und muss einfach genau hinhören, herausfinden, was man will. Als gute Ausgangsbasen stellten sich die MED- oder Auto-Einstellungen mit einer Ratio von 2:1 und dem Blend-Regler auf 100 Prozent heraus. Die Treshold-Werte von -25 bis +20 dBu beziehen sich natürlich auf analoge Spannungen, digitale dBFS lassen sich nicht eindeutig in dBu umrechnen, so dass sich auch in diesem Zusammenhang nicht genau sagen lässt, wann der Kompressor eingreift – es gilt auszuprobieren. Es ergibt wenig Sinn, haarklein aufzulisten, was man wie eingestellt komprimiert hat, da alles in Abhängigkeit des Materials geschieht – es lässt sich eben nicht sagen „so klingt es gut“. Aber Eindrücke lassen sich schildern. Auf Einzelspuren kontrolliert man mit dem 5254 nicht nur die Dynamik, sondern kann durch die färbende Addition von Harmonischen den Klang gestalten. Die Signale wirken satter, erhalten „das gewisse Et was“. Eine fad klingende Bassdrum veränderte ihren Klang durch minimalste Ratio- und Treshold-, aber schnellstmögliche Zeitwerte und den HPF auf 250 Hz eingestellt so, dass sie im Kontext (LoFi Hip-Hop-Beat) super funktionierte. 5254 kann gewiss nicht zaubern, eine Art Magie scheint ihm aber innezuwohnen.

Aufgrund der nicht frei einstellbaren Zeitwerte bekamen wir während des Tests manches nicht so gut hin, zum Beispiel eine richtig knallige Rock- oder Hip-Hop-Snare oder das rhythmische Pumpen des Basses, wenn man dessen Kompression von der Bassdrum durch den Returnkanal des Sidechain steuern lässt. Teils kam man mit dem Blend-Regler dem gewünschten Ergebnis näher, der MC77 wäre jedoch für beide Vorhaben die sicherere Wahl, weil er einfach schneller loslässt. Oder eben ein vollflexibles Kompressor-Plugin.

Als Summenkompressor hat uns der 5254 die größte Freude bereitet. Drums verdichtet er sehr schön, die leicht herausstechende Snare wurde wunderbar in den nun ausgewogeneren Gesamtklang eingefügt. Bei stärkerer Kompression ließ sich sehr gut mehr Anteil des Raumklangs herausarbeiten. Durch Verringern der tiefen Signal-Anteile mittels Sidechain HPF wirkte das Lowend schließlich etwas offener. Auf der Gesamtsumme war es ähnlich: Der durchaus gute Mix wirkte durch die Bearbeitung mit dem 5254 noch homogener, wie eine natürliche Einheit, ohne negative Auswirkung auf die im Mix angelegte Hierarchie.


Die "Verwandtschaft" hört man dem 5254 und dem Portico II durchaus an, dergestalt beide auch bei härteren Einstellungen, Gain-Reduction-Werte Richtung -7 dB und mehr, das Signal beziehungsweise dessen Transienten nicht gänzlich plätten und zerstören. Das ist wohl mit der "Musikalität" gemeint, die Neve-Geräten gemeinhin attestiert wird. Portico II arbeitet jedoch deutlich transparenter, wirkt sich weniger auf den Klang aus als der 5254, der das umso mehr macht, je lauter die ihm zugeführten Signale sind.

Im Grunde gibt es nichts, was der 5254 gar nicht kann. Manches können andere Geräte als Spezialisten etwas besser. Alles, was durch ihn hindurchlief, klang im Test reichhaltiger, durchsetzungsfähiger und dichter. Dabei verhält er sich in puncto Rauschverhalten wie versprochen vorbildlich. Diverse Bearbeitungen, sowohl von einzelnen Instrumenten als auch von Summen, haben für sich stehend alle ge- fallen. Die Entscheidung, welche Einstellung man wählt, ist dann immer kontextabhängig zu treffen.

Fazit

Auf den 5254 von Rupert Neve Designs möchte man nicht mehr verzichten, sobald man einmal die Möglichkeit hatte ihn zu nutzen und seinen warmen, speziellen Klang vernommen hat. Die Arbeit mit ihm bereitet große Freude, es macht Spaß zu experimentieren, was verschiedene Ratio-, Treshold- und Timing-Einstellungen bewirken. Man kann ihn durchaus subtil, aber nicht transparent einstellen. Er wird dem Signal stets seinen klanglichen Stempel aufdrücken.


Redaktion: Malte Schmitt, Professional Audio Februar 2022



Passende Produkte:

Andere Anwendung gesucht?

Newsletter

Sie interessieren Sich für die neueste Audiotechnik auf dem Markt und würden gerne stets informiert sein? Dann abonnieren Sie kostenlos unseren Newsletter!

Zur Newsletter Anmeldung

Unsere Marken

Produktfinder