Günstig und Qualität von Anfang an
TESTBERICHT - sE2300 und sE8
Vorab: Mikrofone in objektiver Weise zu bewerten, ist schwierig. Zwar sind umfangreiche Tests im Labor durchzuführen, die Auswertung der Ergebnisse lässt aber nicht zwangsläufig einen Schluss darüber zu, ob denn das Mikrofon „klingt“. Wenn es darum geht, einen möglichst linearen Schallwandler zu konstruieren, wäre eine Auswertung von Frequenzgangmessungen das Mittel der Wahl, um zu einer objektiven Bewertung zu gelangen. Begreift man Mikrofone jedoch als klanggestalterisches Mittel, ist eine andere Herangehensweise gefragt. Mikrofone stehen am Anfang der Aufnahmekette und sind somit maßgeblich am Klang beteiligt. Bereits ihre Aufstellung vor der Klangquelle hat großen Einfluss auf das spätere Ergebnis. Bei vielen Tonmeistern findet die Klanggestaltung genau hier am Anfang statt und nicht erst später am Mischpult. Wären alle Mikrofone über den kompletten Hörbereich linear und spielten solche Dinge wie Richtcharakteristik, Nahbesprechungseffekt und Empfindlichkeit überhaupt keine Rolle, bräuchten Studios keine umfangreiche Mikrofonsammlung. In der Realität ist es aber gerade diese Sammlung von billigen Kuriositäten bis hin zu sündhaft teuren High-End-Mikrofonen, die am Ende den Klang prägt. Und es sind eben nicht immer die teuren Kandidaten, die schließlich vor der Schallquelle landen. So sind unzählige Vokalaufnahmen mit einem günstigen Shure SM58 oder SM57 entstanden, wo der Hörer vielleicht ein teures Exemplar vermutet. Kurzum: Wir haben ausgiebig gehört und intensiv gemessen.
SE8 und sE2300
Das sE8 ist ein Kleinmembran-Kondensatormikrofon, also ein typisches Stäbchen, wie es in der Studio- und Live-Szene anzutreffen ist. Sein ungleich größerer Kollege, der mit einer diskreten Class-A-Schaltung und Übertrager ausgestattet ist, gehört zur Kategorie der Großmembranmikrofone. Von 199 Euro (sE8) bis 299 Euro (sE2300) reicht die Preisspanne im Online-Handel. sE Electronics legt in der Eigendarstellung viel Wert darauf, dass die Kapseln handgefertigt werden und die Techniker eine 18-monatige Ausbildung bei einem Meister mit 30 Jahren Erfahrung im Kapselbau durchlaufen müssen, bevor sie selbstständig Kapseln fertigen dürfen. OEM kommt also bei sE nicht in das Mikrofon. Die Preise dürfen vor diesem Hintergrund als günstig bezeichnet werden. Da zum Testzeitraum gerade ein Warm Audio WA73-EQ Class-A-Vorverstärker und Equalizer im Neve 1073-Stil als Testgerät zur Verfügung steht, hat dieser die Ehre, für die Vorverstärkung zu sorgen.
sE8 Kleinmembran-Kondensatormikrofon
Das sE8 Kleinmembranmikrofon wirkt optisch aufgrund der Bauform unspektakulär (was den Anforderungen für unauffällige Mikrofonierung auf der Bühne entgegenkommt, die Redaktion). Mit einer Länge von 12 Zentimetern entspricht es quasi der Einheitsgröße dieser Mikrofongattung. Es handelt sich um ein echtes Kondensatormikrofon, nicht um ein Elektret-Kondensatormikrofon mit Dauerpolarisation. Das sE8 besitzt eine Nierencharakteristik. Knapp 160 Dezibel maximaler rechnerischer Schalldruck (bei -20 dB Pad) sollen das sE8 auch von sehr lauten Schallquellen unbeeindruckt lassen.
Der vom Hersteller mit 20-20.000 Hertz angegebene Frequenzgang verläuft ab 30 Hertz bis 5 Kilohertz linear und besitzt dann bei 8 Kilohertz eine etwas breitere Anhebung. Die angegebene Signal-to-Noise Ratio liegt bei 81 Dezibel, das Eigenrauschen entspricht 13 Dezibel (A). Ein schaltbares PAD (0, -10, -20 Dezibel) sowie ein Low Cut Filter (80/160 Hertz bei 6 dB/Oktave) runden die Ausstattung ab. Ersteht man zwei sE8 als selektiertes Paar, kommen diese in einem schönen Alukoffer mitsamt Klemmen, Windschutz und Stereoschiene.
Im Test zeigt sich das sE8 mit dezenter Klangfärbung im Hochton. Die leichte Anhebung um 8 kHz herum verleiht dem Klang schon ohne EQ-Einsatz etwas Glanz. Ansonsten klingt es eher linear ohne Überbetonungen oder Absenkungen. Der Test mit einer Taylor 310ce Akustikgitarre zaubert mit nur einem Mikro in 30 Zentimeter Entfernung am Übergang vom Schallloch zum Hals einen ausgewogenen und gefälligen Sound. Etwas Kompressor, und der Sound steht gut im Mix. Und das ohne starke Bassabsenkung am EQ, was bei meiner Taylor schon fast an ein Wunder grenzt.
Auch der Gesangstest zeigt, wie natürlich das Mikrofon klingt. Besungen wird es in unterschiedlichen Entfernungen von 20 bis 70 Zentimeter. Auffällig ist, wie konstant der Kapselklang bleibt. Bei größerem Abstand treten lediglich die Bässe etwas zurück, einen stark ausgeprägten Nahbesprechungseffekt, der im Nahbereich für eine Bassüberhöhung sorgen könnte, gibt es nicht, deshalb kommt es in einem größeren Abstand nur zu einer sanften „Verschlankung“. Das sE8 zeigt sich im Test zudem als ausgesprochen rückkopplungsfest.
sE2300 Großmembran- Kondensatormikrofon
Optisch etwas beeindruckender erweist sich das sE2300. So wie das Telefunken/Neumann U47 mit Frank Sinatra in Verbindung gebracht wird, der dieses im Studio nutzte, hat auch sE eine „Geschichte“ zu diesem Modell. Das sE2300 ist der Multipattern-Nachfolger des sE2200, welches laut Hersteller das Lieblingsmikro von Amy Winehouse im Studio war. Während Sinatra nur noch die ältere Tontechnikergeneration, wie der Autor dieser Zeilen, kennt, ist Amy Winehouse auch dem einen oder anderen jüngeren Spross ein Begriff. So viel zur Geschichte, nun zu den Fakten: handgefertigte 1-Zoll-Kondensatorkapsel, drei schaltbare Richtcharakteristiken (Kugel, Niere, Acht), diskrete Schaltung, zweistufig schaltbares Pad (0, -10, -20 Dezibel), Custom-Ausgangsübertrager, schaltbares Low Cut Filter (80/160 Hertz), hochwertiges Metallgehäuse mit Premium-Lackierung, vergoldeter XLR-Anschluss, bis zu 146 Dezibel maximaler Schalldruck bei 0,5 Prozent THD, 85 Dezibel Signal-to-Noise Ratio.
Der vom Hersteller angegebene Frequenzgang zeigt für die Nierencharakteristik einen sanften Bass-Roll-off unterhalb von 100 Hertz, der durch das Low Cut Filter entsprechend verstärkt werden kann. Dann geht es linear rauf bis 2 Kilohertz. Zwischen 2 und 5 Kilohertz ist ein sehr leichter Mitten-Boost festzustellen, ab 7 kHz ein etwas stärkerer Boost mit einem Peak oberhalb von 10 Kilohertz. Über 16 Kilohertz fällt der Frequenzgang stark ab, was bei vielen Großmembranmikrofonen der Fall ist. Im Hörtest mit Sprache und Gesang lässt sich die Herstellerangabe nachvollziehen. Der Gesang klingt warm und voluminös. Unangenehme Resonanzfrequenzen, wie man sie oft von Billigmikrofonen her kennt, zeigen sich nicht. Das sE2300 ist in erster Linie ein Mikrofon, welches beim Gesang seine Stärken ausspielt. Im Nahbereich beginnt es nicht unangenehm zu dröhnen, verleiht der Stimme aber dennoch satten Klang. Die Achtercharakteristik zeigt sich erheblich präsenter und schlanker als die Niere. Bei der Kugel gibt es einen kräftigen Höhen-Boost, der bereits ab 7 Kilohertz einsetzt und den Höhepunkt oberhalb von 10 Kilohertz erreicht.
Beim sE2300 darf ein Test mit der Akustikgitarre nicht fehlen, obwohl dies in der Praxis eher ein Fall für Kleinmembranmikrofone wäre. Meine Taylor 310ce ist, wie gesagt, eine ordentlich laute Gitarre mit deutlichem Bassfundament.
Ich probiere es mit einer ähnlichen Mikrofonposition am Übergang zwischen Schallloch und Hals und einem Abstand von etwas mehr als 30 Zentimeter. Klar, im Bassbereich klingt es etwas „boomy“, denn da hat die Taylor viel zu bieten. Ein Fall für das Low Cut Filter. Strahlkraft und Auflösung von Kleinmembranern im Höhenbereich besitzt das sE2300 nicht, doch das muss es auch gar nicht. Es ist eher die Klangfülle, die begeistert. Da Akustikgitarren gerne mit zwei Mikrofonen aufgenommen werden, könnte zum Beispiel ein sE8 den vollen Klang des sE2300 im Höhenbereich mit zusätzlichem Glanz abrunden.
Ein zum Vergleich herangezogenes sE Electronics X1S klingt neutraler als das sE2300 und weniger voluminös. Ich habe das X1S schon oft für die Chorabnahme auf der Bühne eingesetzt. Das sE2300 sehe ich aufgrund seiner Größe eher im Studio als auf der Bühne. Dort würde ich es dem X1S aufgrund des charaktervolleren Klangs vorziehen.
Über den Tellerrand
Grundsätzlich kann man bei einem Preis von 199 Euro für das sE8 und 299 Euro für das sE2300 nicht viel verkehrt machen. Ein Sparring-Partner zum Vergleich für das sE2300 ist sicherlich das Rode NT-2A (240 Euro) oder das Warm Audio WA-47jr (295 Euro). Und beim sE8 empfiehlt sich ein Hörvergleich mit Kleinmembranmikrofonen von Oktava (MK 012: 260 Euro) und Sennheiser (e614: 190 Euro).
Finale
Schon beim letzten sE Electronics Mikrofontest in 2017 wussten die Testkandidaten (V3, V7 und X1A) zu überzeugen. Der asiatische Hersteller zeigt erneut, dass China-Fertigung nicht gleich China-Fertigung ist und bei guter Fertigungs- und Qualitätskontrolle durchaus Preis und Qualität in einer gesunden, ja geradezu sensationellen Relation zueinanderstehen können. Dafür gibt es einen nachvollziehbaren Grund: Bei sE wird nicht einfach nur das Branding eines No-Name-Produkts asiatischer Fertigung betrieben, sondern echte Ingenieursarbeit geleistet, also selbst entwickelt und optimiert. Entgegen eher kurzlebig angelegten Produktzyklen spielen hier Produktqualität und Kundenzufriedenheit tatsächlich noch eine relevante Rolle. Somit sei abschließend der persönliche Test der Modelle sE Electronics sE8 und sE2300 Mikrofone bedenkenlos und ausdrücklich empfohlen.
Von Markus Galla, tools4music 02/2019
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