Audeze MM100 – Preisbrecher-magnetostat
Einen echten Audeze zum Schnäppchenpreis?
Die US-amerikanische Kopfhörer-Manufaktur Audeze befindet sich seit 2009 auf audiophiler Klangreise – der Name spricht sich wie das englische Wort „Odyssey“ - und hat viel für die Etablierung von Hörern mit magnetostatischen Flächenstrahlern bei feinohrigen Menschen getan. Sowohl HighEnder, denen nur das klangliche Optimum genügt, als auch Tonschaffende mit berufsbedingter Bindung zum detailverliebtem Kopfhören schwören auf die Edelkopfhörer. Audeze hatte von Anfang an den Blick auf beide Märkte – den HiFi- und den Pro Audio-Markt und erspielte sich bereits mit dem Erstling LCD-2 die Gunst der Tonprofis.
Doch rastlos ist der Entwicklergeist und so gibt es seit Ende 2012 die MM-Serie: Dabei handelt es sich um Audeze-Hörer, die in enger Zusammenarbeit mit dem hochdekorierten Toningenieur Manny Marroquin entwickelt wurden und den Ansprüchen der Mix- und Mastering-Ingenieure genügen sollen. „Aus der Praxis für die Praxis“ ließe sich die Initiative zur Entwicklung der MM-Hörer beschreiben. Nun, mit genau zwei Modellen ist die Reihe noch recht überschaubar. Debütant der MM-Reihe ist der gut 2.000 Euro teure MM-500, den wir ausführlich in Ausgabe 12/2022 vorstellten und der in allen relevanten Punkten überzeugen und sich als echter Audeze behaupten konnte. Allein sein arrivierter, wenngleich angemessener Preis macht den MM-500 für viele Tonschaffende unerschwinglich. Damit der Traum von einem echten Audeze kein unerfüllbarer bleibt, hat Audeze jüngst den MM-100 als Zweitling der MM-Serie vorgestellt. Der Neue soll einmal mehr und nichts weniger als Klang in Studioqualität bieten, ist aber bereits für knapp unter 500 Euro zu haben. Das ist schon fast ein Schnäppchenpreis – nicht nur für Audeze-Verhältnisse, sondern für Magnetostaten generell. Da sind wir doch alle ganz Ohr und wollen sogleich viel mehr über den Magnetostaten mit Preisbrecherpotential erfahren.
Auch der MM-100 wird, wie all seine Anverwandten der inzwischen recht großen Audeze-Familie, von Hand gefertigt. Obschon der Hersteller, wie wir später noch sehen werden, bei der Konstruktion und Ausstattung den Rotstift ansetzen musste, wurde beim Wesentlichen nicht gespart. Heißt: Audeze setzt auch beim MM-100 auf die eigenen, patentierten Kerntechnologien. Da sind zur Erreichung des hohen Klangziels auch Bauelemente mit dabei, die sich sogar im zehn mal teureren Flaggschiff LCD-5 finden.
Das fängt bei den magnetostatischen, orthodynamischen oder isodynamischen Schallwandlern an, wobei alle drei Begriffe dasselbe planar-magnetische Wandler-Prinzip beschreiben: eine hauchdünne Membranfolie schwingt in einem von einem Permanentmagneten bereitgestellten magnetischen Gleichfeld. Auf der Membranfolie ist eine mäanderförmig verlaufende Leiterschleife aufgedampft, die vom Signalstrom durchflossen wird. Hierdurch entsteht ein dem Signalstrom proportionales, magnetisches Wechselfeld, das in Verbindung mit dem magnetischen Gleichfeld eine Kraftwirkung erzeugt und damit die Membran schwingen lässt. Gegenüber den dynamischen Tauchspulenantrieben, die sich bei den meisten Kopfhörern finden, sind Magnetostaten im Vorteil, da die Antriebskräfte gleichmäßig über die gesamte Membranfläche wirken. Hinzu kommt, dass sich die magnetischen Feldlinien der nebeneinander befindlichen Leiterzüge bauartbedingt kompensieren, woraus eine äußerst geringe Schwingspuleninduktivität resultiert. Mithin verläuft die Impedanz eines Magnetostaten absolut geradlinig. „Reaktanzfreie Arbeitsweise“ ist das Stichwort in diesem Zusammenhang, was faktisch bedeutet: Hörer dieses Bauprinzips sind nicht sonderlich verstärkerkritisch.
Dass die Magnetostaten-Membran aufgrund ihrer Feinheit ein herausragend gutes Impulsverhalten begünstigt, dürfte euch allen, die ihr über grundlegendes Schallwandlerwissen verfügt, klar sein. Als zweites gewichtiges Argument werfen diese Hörer – und ihre Schöpfer – gerne die überlegene Tiefenwiedergabe in die Klangwaagschale. Ursächlich dafür verantwortlich ist die im Vergleich zu einem dynamischen Wandler sehr große Membranfläche. Doch nicht nur im Basskeller fühlt sich der Magnetostat pudelwohl. Denn die allgemein herausragende Transientenwiedergabe, gepaart mit hochfeiner Auflösung über den gesamten darstellbaren Frequenzbereich, prädestinieren diese Hörer als Studio-Kopfhörer mit
Referenzqualität.
Fast wie die großen Geschwister
Apropos darstellbarer Frequenzbereich: Da ist der MM-100 sehr gut aufgestellt, beginnt laut Herstellerangabe im schwärzesten Bassverlies bei fünf Hertz, womit er sich als echter Audeze ausweist. Auch eine Höhenkompetenz kann er vorweisen, wenngleich er nicht so extreme Höhengipfel wie sein großer Bruder MM-500 oder die LCD-Hörer erklimmen kann. Bei immer noch eindrucksvollen 25 Kilohertz - gegenüber 50 Kilohertz – ist das höchste der Gefühle erreicht. Wer jetzt einwirft, dass wir Menschenkinder ohnehin solche extremen Frequenzen nicht wahrnehmen können, hat nur grundsätzlich recht: Tatsächlich spielen diese Frequenzen beim wahrgenommenen Klangfarbenspektrum eine Rolle – obschon das menschliche Ohr diese Extremfrequenzen nicht hören kann.
Damit immer noch nicht genug der Audeze-Kerntechnologien, die auch im Falle des günstigen Neuen dabei sind. Die sogenannten Fazor Waveguides, eine originäre Audeze-Erfindung, sind hinter den Magneten angebracht und fungieren als schallführende Elemente. Sie sorgen dafür, dass der Schall gleichmäßig und parallel, ohne dass es zu Beugungen und Streuungen der Schallwellen käme, austritt. Damit sind Interferenzen, bekanntlich der guten Wiedergabe äußerst feindlich gesinnt, auf ein Minimum reduziert. Summa summarum hat Audeze den MM-100 keineswegs als Billighörer konstruiert, verfügt er doch über die klangentscheidenden Bauelemente, die auch im immerhin etwa vier mal teureren MM-500 verbaut sind.
Alternative Gehäusekonstruktion
Allerdings folgt Audeze bei der Gehäusekonstruktion nicht der des MM-500, die deutlich an die Flaggschiffe angelehnt ist. Vielmehr stand in puncto Gehäuse und Skelett der beliebte Gaming-Hörer Audeze Maxwell Modell. Der Kopfbügel ist aus Federstahl, die Bügel der Ohrmuscheln jedoch aus Aluminium. Die Muscheln und Gitter wiederum bestehen aus Magnesium. Na ja, das sind leichte und stabile Materialien, die seit Jahrzehnten für professionelle Fotokameras verwendet werden. Dann sollten die auch den MM-100 zu einem robusten Hörer machen. Bedingt durch die Bauweise à la Maxwell ist der Kopfhörer aber etwas unbequem und auch nur in drei festen Größeneinstellungen an den Kopf des Trägers anpassbar. Es bedarf zwingend eines Kreuzschlitzschraubendrehers, der sich hoffentlich im Haushalt des großkopferten MM-100-Anwenders findet. Doch Gemach: Dank der sehr einfach dreh- und schwenkbaren Ohrmuscheln liegt der Hörer an den allermeisten Köpfen sehr gut an. Sicher, knapp 500 Gramm sind kein Papiergewicht und vor Headbanging mit aufgesetztem MM-100 müssen wir dringend abraten. Anderenfalls sucht der Hörer den Sofortkontakt mit dem Studio-Fußboden. Dem Tragekomfort hingegen sehr zuträglich sind die Ohrpolster aus angenehm weichem Kunstleder, in das ein Gel-Kissen eingearbeitet ist. Das sorgt für ein sehr angenehmes Tragegefühl, weswegen wir die Echtlederpolster des MM-500 nicht vermissen.
Gut gehört ist halb gemischt
Es ist an der Zeit, dem MM-100 auf die Klangspur zu kommen. Nach dem hervorragenden Eindruck, den der große Bruder MM-500 bei uns hinterlassen hat, sind wir selbstverständlich hoch gespannt und ganz Ohr auf die Wiedergabeeigenschaften des kostengünstigen kleinen Bruders. Beim MM-500 haben wir eine sehr hohe tonale Ausgewogenheit mit leichter Betonung des Präsenzbereichs ermittelt. Dahinter vermuten wir die Manny Marroquin Klangsignatur und die prägt in der Tat auch die Wiedergabe des MM-100. Allerdings ist die Hochmittenbetonung in seinem Fall stärker ausgeprägt, was zwar Stimmen und manche Instrumente, beispielsweise E-Gitarren, schön nach vorne bringt, aber nicht unbedingt nach dem Geschmack der Puristen ist, die an ihre Ohren nichts als höchste Signaltreue oder Neutralität lassen. Doch auch die Vertreter der Quellwasserklangfraktion können sich mit dem MM-100 anfreunden, denn er nervt zu keiner Zeit. Auch nach langen Abhörsessions fühlen wir uns nicht gestresst und sind sogar beeindruckt von der detailreichen Präsentation des Quellmaterials. Das legendäre Akustik-Gitarrenduo-Album „Twin House“ der Fusionjazzer Larry Coryell und Philip Catherine bringt der MM-100 mit einer Feinauflösung bei herausragend gutem Impulsverhalten zu unserem Gehör, so dass wir – nach kurzer Einhörzeit – ganz Ohr sind und bleiben. Gerade die mitunter schroffen, ultraschnellen Singlenotes von Coryell gibt der MM-100 völlig ungeschönt wieder. Catherines eleganterer Ton geht angenehmer ins rechte Ohr. Dabei folgt der Magnetostat den Transienten einmal mehr locker auf den Plektrumanschlag. Wir wechseln zu einem Pop-Klassiker, der das Etikett „HighEnd-Produktion“ verdient: Michael Jacksons Meisterwerk „Thriller“ in 24 Bit/96 kHz-Auflösung - und der MM-100 bleibt nichts schuldig: Die Leadstimme sitzt unverrückbar in der Mitte, die Backgroundvocals, Synthies, Bläsersätze, grenzgenialen Basslinien tönen ihrerseits von den vorgesehenen Plätzen und erscheinen für die Ohren greifbar nahe. Dass auch kein einziges Effekt-Gimmick verborgen bleibt, belegt die Kompetenz dieses Abhörspezialisten. Denn ein solcher ist der MM-100.
Gut, wir rufen unsere Aufnahmen mit den in dieser Ausgabe getesteten neuen Yamaha YDM-Mikrofonen auf und lernen den MM-100 schnell als verlässlichen Partner kennen und schätzen. Er hilft uns bei der Auswahl des passenden Kompressors für die Vokalspuren und der Halleffekte für Stimme und Instrumente. Auch klangstellerische Aufgaben lassen sich mit dem Hörer sehr gut bewerkstelligen. Als Beleg dienen uns die finalen Mischungen, die am Ende auf verschiedenen Abhörsystemen und auch über Kopfhörer überzeugend klingen. Genau das erwarten wir und ihr von einem Studio-Kopfhörer. Der MM-100 liefert und überzeugt. So muss es sein.
Fazit
Der Audeze MM-100 überzeugt als bemerkenswert kostengünstiger Magnetostat mit seiner praxisgerechten tonalen Abstimmung bei herausragendem Impulsverhalten. Ein heißer Tipp für preisbewusste Tonschaffende mit hohen Ansprüchen an die Wiedergabeeigenschaften eines Kopfhörers.
Redaktion und Fotos: Harald Wittig, Professional Audio 01/2024
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